
Was, bitte schön, soll an Konflikten wertvoll sein?
Diese Frage stellte ich mir jedenfalls, als meine Ausbilderin Christine Ordnung ganz zu Beginn der Ausbildung uns angehenden Familientherapeuten mitteilte, sie würde Konflikte mögen, denn Konflikte seien wertvoll.
Bis dahin kannte ich Konflikte nur als Situationen, in denen ich nicht freiwillig bin. Meine Konflikte machten Stress und schädigten meine Beziehungen. Ich hatte als Kind gelernt, Konflikte besser zu vermeiden aus ebendiesen Gründen. Als Kind hörte ich oft den Satz „Das kannst Du aber nicht machen/ sagen“. Ein anderes Kind oder ein Erwachsener könnte dann z.B. traurig werden. Wegen mir!! Ich wollte natürlich nicht schuld sein am Unglück eines anderen Menschen und hielt mich also zurück. Dass ich selbst dadurch in Konflikt mit mir geriet, habe ich als Kind nicht bemerkt bzw. konnte ich es nicht einordnen und schon gar nicht gut für mich sorgen. Ich war der Typ Kind, der sich verletzt und irritiert zurückzog.
Es passierte mir also nicht oft, dass ich Stress mit Erwachsenen hatte. Ich habe es aber oft bei anderen (mutigeren) Kindern beobachtet und es machte mir Angst. Ich war also in diesem Sinne sehr klug, weil ich Konflikte vermieden und mir damit Stress mit den Erwachsenen erspart habe.
Als ich selbst erwachsen wurde, behielt ich die früher gelernte Strategie bei: Konflikte grundsätzlich vermeiden. Das Problem ist nur, dass das irgendwann nicht mehr geht. Denn gesunde Kinder verteidigen ihre Integrität und – zack – ist der Konflikt da. Gesunde Partner ebenfalls. Niemand mag sich auf Dauer beugen. Sobald zwei Menschen in einem Raum sind, können Konflikte entstehen und besonders Kinder stehen dann oft vor dem Dilemma, sich zwischen Beziehung und persönlicher Integrität entscheiden zu müssen.
Leider waren die meisten Erwachsene meiner Kindheit schlechte Vorbilder für mich und ich konnte nicht von ihnen lernen, wie man mit Konflikten umgeht, ohne dass mindestens einer der Konfliktpartner das Gefühl hat, verloren zu haben.
Oh, ich merke gerade, dass ich „Konfliktpartner“ schreibe statt „Konfliktgegner“! Was ist geschehen?
Als ich 2013 mit einer Weiterbildung am ddif begann, da hatte ich schon so eine Idee, dass ich Konflikte nicht mit Gegnern habe. Denn ich war inzwischen selbst Mutter und in den Konflikten mit meinen Kindern spürte ich sehr stark, dass ich es nicht mit Gegnern zu tun hatte! Ich hatte Konflikte mit empfindsamen Wesen, die ihre eigenen Ideen vom Leben haben. Und ich wollte diese Wesen nicht verletzen. Und gleichzeitig kam in mir etwas hoch…ich war nicht mehr unterlegen…. ich könnte jetzt überlegen sein…so war es doch früher auch, das haben mir die Erwachsenen meiner Familie, im Kindergarten und in der Schule beigebracht…was, wenn das Kind mir auf der Nase rumtanzt? Jeden Respekt verliert vor mir? Mich nicht mehr ernst nimmt? Irgendwie muss es doch auch anders gehen?
Wie kommt man nur raus aus der Nummer?
Kleiner Fahrplan:
- Nimm Dich erst einmal selbst wahr: was passiert gerade bei dir? Welche Körperempfindungen hast du (z.B. Enge im Brustkorb, beschleunigter Herzschlag), welche Gefühle und Bedürfnisse tauchen auf (z.B. Gefühl der Hilflosigkeit, Bedürfnis nach Harmonie…)
- Höre zu, ohne zu bewerten und ohne Ratschläge zu geben
- Nimm Gefühle wie Frust,Wut,Trauer etc. ernst, erkenne sie an („Du bist traurig“ anstatt „ist doch nicht so schlimm“). Gefühle, die ernst genommen werden, können von allein wieder gehen!
- Interessiere Dich ehrlich für die Kinder und mache Dir bewusst, dass jedes der Kinder seinen eigenen wichtigen Grund hat, sich genau so zu verhalten (auch, wenn dieser Grund für alle anderen Menschen kein Grund wäre, sich so zu verhalten).
- Frag nach, ob die Kinder überhaupt Hilfe brauchen.
- Vermittle ihnen, dass Du darauf vertraust, dass sie selbst eine Lösung finden.
Oft versuchen Erwachsene Frieden zu stiften und schlagen Kompromisse vor, bei denen häufig beide Parteien unzufrieden bleiben. Ein Entgegenkommen oder Kompromiss muss immer freiwillig sein und ohne Druck von außen, sonst kann unser Nervensystem nicht entspannen und die Gefühle, die bei einem „faulen“ Kompromiss entstehen (Wut, Ärger, Wunsch nach Rache) suchen einen anderen Weg. Als Erwachsene kann ich fragen, ob die Kindern meine Hilfe benötigen und wenn ja, beide Kinder einfach nur anhören, an beiden Parteien interessiert sein und beide fragen, ob sie eine Idee haben, wie es weiter gehen kann. Auf keinen Fall sollte ich argumentieren oder Vorschläge machen, denn das verstärkt nur den Widerstand. Ein Kind aber, welches gehört wird, welches sich verweigern darf und für dessen NEIN sich jemand interessiert, das kann sich selbst leichter beruhigen und aus diesem beruhigten Zustand heraus dann auch eine Lösung finden, die für beide passt.
Und warum sind Konflikte nochmal wertvoll?
Im Konflikt lerne ich mich besser kennen: Wenn ich merke, dass ich aus Hilflosigkeit wütend werde und nicht, weil die Kinder schon wieder streiten. Oder ich stelle fest, dass ich mit den Kindern in einen Machtkampf gerate, weil ich ein bestimmtes Bild im Kopf habe, wie eine gute Erzieherin zu sein hat. (Die ich natürlich sein will, ist ja klar!).
Wenn ich dann noch den anderen Beteiligten, ob klein oder groß, den Raum gebe sich zu öffnen, weil ich mich für ihn/sie interessiere, dann lerne ich mein Gegenüber besser kennen und habe Wertvolles über sie/ihn erfahren.
Denn wenn wir uns gegenüberstehen und feststellen, dass wir, jede/r für sich, das Beste tut, was möglich ist — dann, ja dann ist der Konflikt wertvoll gewesen. Denn dann ist im Konflikt Kontakt entstanden und hat unsere Beziehung gestärkt und vertieft. Mit dieser Erfahrung können wir in Zukunft Stück für Stück einen leichteren Umgang mit Konflikten finden.
Das Foto oben symbolisiert es für mich ganz gut: die Fäuste stehen für mich für den Konflikt, die Art, wie sie sich berühren, ist aber mehr Kontakt als Kampf. Es ist der Kontakt im Konflikt.
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